Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Multinationales Großstadtleben

Was aus Jugoslawien hätte werden können, lässt sich am besten wohl im Nosh erleben, einer Kneipe am Prenzlauer Berg. Der Name ist englisch, die Speisen asiatisch. Der Wirt heißt Ermin Behric und stammt aus einer bosnisch-muslimischen Familie in Kroatien. Nach Jugoslawien kann er nicht zurück, nach "Ex-Jugoslawien" will er nicht.

An den Balkan-Abenden im Nosh treffen sich Kroaten, Bosnier, Deutsche, Serben, Mazedonier. Die Faszination, die der Vielvölkerstaat im Südosten Europas einmal ausübte, hat einen weiten Weg zurückgelegt. Aber lebendig ist sie noch immer.

Der Berliner Journalist und Balkankenner Rüdiger Rossig beschreibt in seinem detailreichen und liebevoll illustrierten Buch eine deutsche (und vorwiegend Berliner) Szene, die in den Zeitungen nicht vorkommt: die Ex-Jugos. Die Szene trifft sich in Balkan-Discos, einem zweisprachigen deutsch-kroatischen Fanzine und im Verein "Südost Europa Kultur" der engagierten Bosiljka Schedlich.

Getragen wird ihre Kultur von Flüchtlingen, die bei der Aufteilung Jugoslawiens als Scheidungswaisen zurückblieben - weil sie sich zum Beispiel mit dem gemeinsamen Staat identifizierten oder, weit häufiger, weil sie aus "gemischten" Ehen stammten.

Die Ex-Jugos pflegen keine politische Nostalgie und keine Exil-Folklore. Ihre Szene knüpft an die reichste Rock- und Pop-Szene an, die je ein kommunistisches Land hervorgebracht hat, und führt sie weiter. Ethnische Exklusivität, wie Emigranten sie sonst gerne pflegen, ist die Sache der Ex-Jugos gerade nicht.

Das Wort "Migrationshintergrund" trifft hier ausnahmsweise einmal zu: Kindheit, Erinnerung und Abstammung sind tatsächlich "Hintergrund".

Im Vordergrund aber steht ein nach allen Seiten offenes, multinationales Großstadtleben, wie Belgrad, Zagreb und Sarajewo es in den Kriegen verloren haben. In den für sie so unheimelig gewordenen Heimatländern ist diese Kultur kaum noch anzutreffen. Die neuen Staaten pflegen volkstümelndes Brauchtum und sterile Staatskunst, wie übrigens auch manche Exil-Serben und -Kroaten es tun.

Nebenher bietet das Buch auch eine sorgfältig recherchierte Geschichte der jugoslawischen Gastarbeiter. Sie galten in Deutschland als am besten integrierte Ausländergruppe und bildeten, anders als Türken oder Italiener, kaum eigene Szenen aus.

Ihrer Kultur hat das nur genützt, wie man bei Rossig nachlesen kann.

NORBERT MAPPES-NIEDIEK

Frankfurter Rundschau Feuilleton 19.02.2009 Seite 38

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