Thema der Podiumsdiskussion am 9. Juni 2015 in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin-Mitte war die Situation der Medien auf dem westlichen Balkan und die Bedeutung, die das freie Wort für die EU-Integration der Staaten dort hat. "Diese Region stand in den letzten zwei-drei Jahren im Schatten der deutschen und europäischen Aufmerksamkeit", so Walter Kaufmann, Referatsleiter Ost- und Südosteuropa der Heinrich-Böll–Stiftung.
Die Entwicklung in Osteuropa, allen voran die Russland-Ukraine-Krise, binde vieles, was der Stiftung an Ressourcen zur Verfügung stehe. Gerade darum sei bewusst entschieden worden, sich wieder dem Westbalkan zuzuwenden – denn die Situation der unabhängigen, kritischen Medien dort sei mittlerweile sehr bedrohlich.
"Journalistinnen und Journalisten, die sich mit den Netzwerken von Politik, Wirtschaft und Kriminalität beschäftigen, werden physisch bedroht. Das stellt die Vorstellung von der Durchsetzung einer europäischen Friedensordnung in Südosteuropa in Frage", sagte Kaufmann. Das gelte auch für die Verfestigung quasi-autoritärer Regime, die sehr gut darin seien, die von der EU vorgegeben Szenarien quasi als Imitation zu befriedigen – und zugleich ihre eigene Machtbasis auf nicht-demokratischem Wege zu befestigen und auszubauen.
"Das ist die Verbindung zu dem großen Thema, dass uns in Osteuropa beschäftigt, so Kaufmann. "Welches Rollenmodell ist auf dem Westbalkan heute stärker – Rechtsstaaten mit Gewaltenteilung und liberaler Demokratie? Oder das Modell, das von der Türkei Recep Tayyip Erdoğans über das Ungarn Viktor Orbáns bis zum Russland Wladimir Putins reicht?"
Gernot Erler, der Präsident des Mitveranstalters Südosteuropa-Gesellschaft, stellte in seinem Grußwort klar, dass sich alle Staaten des westlichen Balkans für den Weg in die Europäische Union entschieden hätten. Und wenn dieser Weg erfolgreich gegangen werden solle, bedeute er eine tiefgreifende und nachhaltige politische und gesellschaftliche Transformation.
Ziel sei die Stärkung von Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand. Dazu gehöre die Einhaltung von Meinungs-, Rede- und Medienfreiheit - "denn eine freie Medienlandschaft ist unverzichtbar für den demokratischen Meinungsbildungsprozess", so Erler.
"Wir alle wissen, dass die Situation der Medien in den Staaten des westlichen Balkan keine einfache ist. Die Ursache dafür ist nicht etwa der allmächtige staatliche Zensor, zum Gesamtbild gehört die prekäre wirtschaftliche Situation vieler Medien, die sie anfällig für politische Einflussnahme macht. Hinzu kommt die intransparente Struktur der Medienkonzerne und Anzeigenmärkte."
In manchen Ländern der Region seien Angriffe auf Journalisten und deren Eigentum mittlerweile an der Tagesordnung. Angesichts dessen sei es sowohl für Autoren als auch für Verlage schwer, nicht der Selbstzensur zu erliegen. Auch die professionellen Standards seien verbesserungswürdig: "Oft geht Gesinnung vor Solidität, die Verbreitung ungeprüfter Gerüchte vor gründlicher Recherche." Um diese Situation zu verändern sei vor allem die Politik gefragt, "Regierungen und Parlamente - aber auch die Journalisten, Chefredakteure und Herausgeber selbst."
Erler bestritt vehement, dass die EU angesichts der neuen geostrategischen Konkurrenz mit Putins Russland bei den Beitrittsverhandlungen mit den Staaten des Westbalkans zu Abstrichen bei grundlegenden Werten bereit sei: "Es wird ungeachtet aller derzeitigen weltpolitischen Turbulenzen keine Rabatte geben – weder bei der Rechtsstaatlichkeit noch bei der demokratischen Regierungsführung noch bei den Grundrechten."
Die EU sei und bliebe in allererster Hinsicht eine Wertegemeinschaft. Zu ihrem unverzichtbaren Fundament gehöre der Respekt vor Grundfreiheiten und Bürgerrechten wie Medienrechten und Meinungsfreiheit. Ohne sie könne es keine erfolgreichen Beitrittsprozesse und kein erfolgreiches Europa geben.
Deshalb setze sich die Bundesregierung mit den EU-Partnern konsequent für die Einhaltung der Beitrittsvoraussetzungen ein – "auch und gerade gegenüber den Regierungen der Staaten, über die wir hier heute sprechen", sagte Erler. Das würden Deutschland, Europa und ihre Partner vor Ort nicht etwa als Einmischung sehen - sondern als Unterstützung des von Regierungen und Bürgern selbst gewollten Transformationsprozesses.
Dann eröffnete Tobias Flessenkemper, ebenfalls Mitglied der Südosteuropa-Gesellschaft, Panel 1 dieser ungewöhnlich langen Veranstaltung, in dem es um Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern gehen sollte. Daher bat der Moderator die Gäste, jeweils kurz zu skizzieren, wie sie die Lage in ihren jeweiligen Ländern sehen.
Agron Bajrami, Chefredakteur der Tageszeitung Koha Ditore" (Tägliche Zeit), schickte voraus, es sei wichtig, das Thema Medienfreiheit in einem Moment zu diskutieren, in dem der Westbalkan vom Radar vieler politischer Entscheider verschwunden ist - nicht nur in Deutschland, sondern überall im Westen.
Derweil sei die Lage der unabhängigen Medien in den vergangenen Jahren nicht etwa besser geworden, sondern in vielerlei Hinsicht schlechter. Bajrami benannte drei Punkte zur Situation in Kosovo, von denen nur einer spezifisch für dieses Land sei: "Erstens, freie Rede gibt es. Die Frage ist, was passiert, nachdem man sie genutzt hat."
Medien wie Koha Ditore, die einflussreichste unabhängige Zeitung des Landes, die professionell und mutig genug seien, um sensible Themen wie Kriegsverbrechen, Korruption oder und Verbindungen zwischen Organisiertem Verbrechen, politischen Parteien und Mandatsträgern anzupacken, müssten schwere Konsequenzen von Drohungen über Angriffe bis hin zu politischem und wirtschaftlichem Druck tragen.
Zweitens hieße investigativ arbeiten unvermeidbar, sich mit den stärksten Faktor im Land anzulegen: Der Regierung, die der größte Arbeitgeber, der größte Investor und die reichste Einrichtung in Kosovo ist. "Das können sich die meisten Medien nicht leisten, denn es heißt, auf Einnahmen zu verzichten und als Lügner, Verräter und Schlimmeres diffamiert zu werden."
Die meisten Medien seien allerdings auch nicht willens, professionelle Standards einzuhalten. Viele würden von Parteien und anderen Interessengruppen kontrolliert. Zudem kontrolliere die Regierung in Kosovo - wie in den meisten Ländern der Region – den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und benutze ihn als Propagandawerkzeug.
Das Umfeld, in dem Journalisten in Kosovo arbeiten, nannte Bajrami "undemokratisch": "Wir sind keine funktionierende Demokratie, unsere Institutionen funktionieren nur auf dem Papier. Politische Einflussnahme hat die meisten staatlichen Einrichtungen korrumpiert, die eigentlich unabhängig sein sollten – von den Gerichten bis zu den Kontrollbehörden."
Regierung und Parteien benähmen sich, als sei was immer sie tun ihre interne Angelegenheit. "Sie sind, wenn ich das so sagen darf, eine Art Cosa Nostra. Medien und Öffentlichkeit sind völlig ausgeschlossen. Es gibt keine Transparenz und daher auch keine Berechenbarkeit."
Auch die Parteien seien undemokratische Einrichtungen. Interne Wahlen würden manipuliert, Parteisoldaten folgen Parteiführern und arbeiten sich im Apparat hoch während Kritiker rausgeschmissen werden. Parteitage seien perfekt vorbereitete Reality Shows, wo Führer regelmäßig ohne Gegenkandidaten per Akklamation gewählt werden.
Für die meisten Politiker - nicht nur im Kosovo sondern auf dem ganzen Westbalkan – sei die EU nicht Ziel sondern Werkzeug. Politik mache man nicht, um die Realität positiv zu beeinflussen, sondern um reich und mächtig zu werden. Medien, die nicht bereit sind, blind zu akzeptieren was ihnen erzählt wird, würden als Feinde gesehen.
Bajramis dritter Punkt war der einzige, bei dem sich die Situation in Kosovo von der in den meistens anderen Ländern der Region unterscheidet: "die Anwesenheit vieler internationaler Organisationen, die nicht nur diplomatisch aktiv sind, sondern bis heute Exekutivgewalten ausüben, etwa Rechtsstaatlichkeitsmissionen der Europäischen Union, Eulex."
Leider habe die internationale Präsenz nicht zu einem besseren Umfeld für die Medien geführt. Auch 16 Jahre nach Kriegsende sei Kosovo keine Demokratie. "Sicher, die Hauptverantwortung für dieses Versagen tragen wir selbst", so Bajrami – "aber einen Teil der Schuld trägt der Westen, der unsere korrupten und kriminalisierten Eliten unterstützt."
Internationale Gemeinschaft und EU hatten die demokratischen Prinzipien, für die sie öffentlich werben, längst dem Erhalten der Stabilität geopfert. Zudem hätten Vertreter des Westens selbst Druck auf Medien ausgeübt: "Nachdem Koha Ditore einen Korruptionsskandal in der Eulex-Mission aufgedeckt haben, haben Eulex-Mitarbeiter unsere Autoren bedroht." Leila Bičakčić leitet das Zentrum für Investigativen Journalismus CIN in Bosnien-Herzegowina, eine Nachrichtenagentur, die seit ihrer Gründung 2004 investigativen Journalismus betreibt und versucht, diese Form der Berichterstattung in Bosnien bekannter zu machen. CIN finanziere sich ausschließlich durch Spenden und habe daher viele finanziellen Probleme nicht, die andere Medien in der Region haben. Ansonsten aber ähnelt für Bičakčić die Situation in Bosnien der in den Nachbarländern sehr - vor allem der in Kosovo.
"Beide sind Experimente der internationalen Gemeinschaft. Sie ist auf allen Ebenen allgegenwärtig, in Bosnien seit über 20 Jahren, im Kosovo seit 16. Und obwohl alle möglichen internationalen Standards und Konventionen eingeführt wurden, funktionieren beide Staaten nicht", sagte Bičakčić.
Spezifisch für die Lage der Medien in Bosnien sei, dass das Land aus zwei ethnisch begründeten Verwaltungseinheiten besteht. Die Spaltung zwischen muslimisch-kroatisch dominierter "Föderation Bosnien und Herzegowina" und "Republika Srpska" sei nach wie vor sehr spürbar.
Andererseits herrsche aufgrund dieser Spaltung eine Art Medienpluralismus – wenn auch nur bezüglich der reinen Zahl der erscheinenden Titel: "In Bosnien gibt es 140 Radiostationen, 100 Magazine, 80 Online-Portale, 44 TV-Sender, 10 private Tageszeitungen und 4 Nachrichtenagenturen – viel zu viel für 3,7 Millionen Einwohner."
Vor allem aber sage die Menge der Medien nichts über den Pluralismus in deren Berichterstattung aus: "Unser Medienpluralismus trägt nicht zur Verbesserung der journalistischen Standards bei. Die Besitzverhältnisse sind unklar, es ist einfach zu sehen, welche Parteien Einfluss auf welche Medien ausüben. Sie benutzen sie als Mitte, um Einfluss auf die Bürger auszuüben."
Hinzu komme die Werbeindustrie, die in dem deindustrialisierten, armen Land ebenfalls die Parteien kontrollierten. Angesichts von extrem niedrigen Honoraren müssten Journalisten ständig bedenken, welche Wirkung kritische Berichterstattung auf die finanzielle Lage ihrer Arbeitgeber haben könnte. Dabei sei der legale Rahmen für Medien in Bosnien wie in Kosovo eigentlich sehr gut: "Die Gesetze sind sehr liberal, sie entsprechen denen in der EU. Leider klappt die Umsetzung häufig nicht. Drohungen gegen Journalisten, Überwachung und das Abhören von Telefonen sind alltägliche Praxis."
Auf dem aktuellen World Press Freedom Index der Reporter ohne Grenzen liege Bosnien auf Platz 66 von 180, was angesichts der Lage in der Region gut sei: Einzig das EU-Mitglied Kroatien habe eine bessere Position. "Aber auf dem Index der Missbräuche stehen wir neben Sierra Leone, Haiti und Algerien." Željko Ivanović ist Direktor von Vijesti (Nachrichten), der größten Tageszeitung Montenegros und mit 80.000 Unique Visitors täglich des größten Nachrichtenportals des EU-Kandidatenlandes. "Bei einer Gesamtbevölkerung von 600.000 und einer Internetverbreitung von unter 60 Prozent heißt das, dass jeder, der Netz hat, mindestens einmal täglich unsere Seite besucht. Das ist das Resultat von 25 Jahren harter Arbeit."
Die Geschichte von Vijesti begann in den 1990ern, "als Premierminister Milo Djukanović, der noch immer Premierminister ist, noch zusammen mit dem damaligen starken Mann in Serbien, Slobodan Milošević Kriege begann und Kriegsverbrechen beging." Die Redaktion des damaligen Magazins Monitor war gegen Hate Speech und Krieg – und für Menschenrechte.
"Mit Hilfe der EU, der europäischen Staaten und der USA gelang es uns, eine starke Zivilgesellschaft mit NGOs und unabhängigen Medien aufzubauen, die in den Zeiten der Diktatur die Gesellschaft schützten und ihr halfen, sich in die friedliche Richtung zu entwickeln, die wir Ende der 90er eingeschlagen haben, als Milošević gestürzt wurde", so Ivanović.
Damals habe Premier Djukanović bereits einen pro-westlichen Kurs eingeschlagen. Paradoxerweise habe das die Lage der Medien nicht verbessert: Viele seien von lokalen Tycoons und internationalen Unternehmen privatisiert worden, die sich nicht für professionelle Standards und Demokratie interessierten, sondern für Profite. Heute schwächten die dabei entstandenen Monopole die Zivilgesellschaft und hätten die unabhängigen Medien fast ruiniert.
"Wir nennen den Typ von Demokratie, die heute bei uns herrscht, Demokratur - eine Kombination aus Demokratie und Diktatur." In solchen "weichen Diktaturen" wie dem Venezuela des Hugo Chávez, dem Russland Wladimir Putins, Viktor Orbáns Ungarn oder Milo Djukanovićs Montenegro nutzten die Herrschenden wirtschaftliche Monopole, staatliches Geld, die Kontrolle über Geheimdienste und andere staatliche Institutionen, um Zivilgesellschaft, unabhängige Medien und jede andere Alternative zu ihrer unkontrollierten Macht zu zerstören.
Die Medien auf dem Westbalkan seien "lost in transition". In Bosnien gehöre das Magazin Dani (Tage) oder die Tageszeitung Oslobodjenje (Befreiung), die während des Krieges und danach eine wichtige Rolle spielten, lokalen Tycoons. Den ältesten privaten TV-Sender Mazedoniens habe Premier Nikola Gruevski vor ein paar Jahren geschlossen.
Gleichzeitig sei der EU-Beitrittsprozess stecken geblieben. "Wenn er wieder in Gang kommt und erfolgreich ist, wird die Situation in 10 Jahren ganz anders aussehen." Das Beispiel Kroatiens zeige, dass sich im Verlauf dieses Prozesses nicht nur die Regierung sondern auch die Medienlandschaft im europäischen Sinne normalisiere.
"Dort gibt es noch drei landesweite TV-Stationen und drei, vier Tageszeitungen – auf einem Markt, der 20-mal größer ist, als der in Montenegro. Das Anzeigengeschäft umfasst 200 Millionen Euro im Jahr, das in Montenegro zehn. Wie sollen in einem so kleinen Land sieben nationale TV-Stationen und vier Tageszeitungen überleben?"
In dieser Situation müsse die EU zwischen politischer Stabilität und demokratischen Standards balancieren. "Sie muss einerseits Politiker unterstützen, die für einen kurzen Zeitraum Stabilität garantieren können – und gleichzeitig von ihnen fordern, ihre monopolistische Politik und ihre auf reinen Machterhalt ausgerichtete Regierungsführung komplett zu verändern."
Dabei sei das Verhalten der EU-Entscheidungsträger oft paradox. "Sie sagen, dass sie wissen, das Djukanović korrupt ist und mit der Mafia verbandelt - sie aber trotzdem keine Medien unterstützen können, denn die sind Unternehmen und müssen auf dem Markt überleben – dabei gibt es dort gar keinen Markt!"
Stattdessen finanziere die Regierung zwei Tageszeitungen jedes Jahr mit Millionen. Die offiziellen Besitzer seien ein Tycoon aus Malaysia und einer aus Griechenland, die daneben auch Hotels und andere Unternehmen besäßen. Der Premierminister sorge dafür, dass sie mit diesen gut verdienen. Dafür überließen sie diesem ihre Zeitungen - und zerstörten den Markt, von dem andere Medien leben müssen. Beim Fernsehen sei die Situation die gleiche.
"Auf dem World Press Freedom Index liegt Montengro auf Platz 114 – nach Namibia und Sambia und kurz vor Mazedonien. Dort herrscht ein ähnlicher Führer wie bei uns, die selbe Form von Demokratur. Der mazedonische Djukanović heißt Gruevski, der in Kosovo Hashim Thaçi, der in Serbien Aleksandar Vučić... und so weiter."
Die EU müsse in dieser Situation geduldig mit den Verhandlungen weiter machen - und sich gleichzeitig bewusst sein, dass es in ein paar Jahren keine Zivilgesellschaft und keine unabhängige Medien in Montenegro mehr geben werde, wenn man gegenüber den bestehenden Problemen blind bleibe.
"Schon heute sagen uns junge Leute, wenn sie sehen, wie wir unter Druck stehen: Ihr seid verrückt! Wir wollen nicht so leben wie ihr und ständig Angst haben!" So ein Leben führt die serbische Journalistin Svetlana Lukić seit seit knapp 25 Jahren. "Ich wurde Anfang der 90er Jahre beim staatlichen serbischen Fernsehen als Feind und Verräter Serbiens entlassen", berichtet die Herausgeberin des unabhängigen Internetportals Peščanik.
"Hauptverantwortlich dafür war der heutige Premierminister Vučić, der damals Listen von Feinden Serbiens verfasste und später Miloševićs Informationsminister war." Lukić ging zum oppositionellen Belgrader Radiosender B92 – bis diese legendäre Station vor einigen Jahren privatisiert und "zu einer Schande für den Journalismus" wurde.
Zusammen mit einer Kollegin fing sie noch einmal von null an. "Heute haben wir drei, vier Mitarbeiter, unsere Website besuchen täglich 25.000 Leute, wir machen eine tägliche Fernsehsendung, die 15 Stationen in Serbien, Montenegro, Kosovo und Bosnien senden. Das am Leben zu erhalten ist kein kleiner Happen für zwei Frauen, die sich das 50. Lebensjahr von der falschen Seite aus angucken."
Jetzt, nach alle den Jahren unter Milošević und seinem konservativ-nationalistischen Nachfolger Vojislav Koštunica, denken die beiden Peščanik (Sanduhr)-Chefredakteurinnen zum ersten Mal ans Aufgeben. Die jetzige Regierung habe eine hervorragende Methode gefunden, um Journalisten und Medien zu kontrollieren.
"Medien sind ein sehr mächtiges Instrument. Milošević hat damit den Krieg begonnen und die heutige Regierung benutzt es, um die Opposition zu kriminalisieren, kritische Intellektuelle zu diskreditieren und Lügen zu verbreiten. Vučić oder auch Djukanović zerstören die Medien nicht, weil sie sie hassen – sondern indem sie sie zur Vernichtung ihrer politischen Gegner benutzen."
Svetlana Lukić ist nicht sicher, wer in der Region in der miesesten Situation stecke. "Sicher ist: Wir in Serbien haben die meisten Medien, 1.400 heißt es, und eines ist schlechter als das andere. Und dieses Chaos wurde mit Absicht eingerichtet." Dazu gehöre auch, dass niemand wisse, wem Medien gehören, wie im Fall von Politika, dem größten Zeitungsverlag Serbiens.
"Ein Besitzer ist der Staat, ein anderer, sehr Mächtiger ein Briefkasten in Moskau. Wer dort wirklich sitzt, weiß niemand – aber jeder weiß, dass diese Person oder Firma 10 Millionen Euro investiert hat. Die EU unterstützt die Gesetze, die eine solche Privatisierung erlauben. Welcher normale Investor wird Anteile an einem Verlag kaufen, wenn er nicht weiß, wem die 40 oder 50 anderen Prozente gehören?"
Journalisten in Serbien hätten es sowohl mit klassischer Zensur aus der Zeit des Sozialismus zu tun als auch mit den Methoden der neuen Diktatoren. "Die stören bei Peščanik vor allem zwei Dinge: Wir sind finanziell nicht von ihnen abhängig, weil uns schwedische und deutsche Donatoren – darunter die Heinrich Böll Stiftung – finanzieren; und wir haben keine Angst vor ihnen." Also muss auf andere Art und Weise Druck ausgeübt werden.
"Unsere Website bricht in den vergangenen zwei Jahren regelmäßig zusammen, wenn wir gerade einen Text publizieren, in dem belegt wird, dass die Doktorarbeit des Polizeiministers und rechte Hand vom Premier Vučić ein Plagiat ist. Dasselbe passiert wieder am Tag darauf, nachdem wir beweisen können, dass auch der Belgrader Bürgermeister, Vučićs linke Hand, bei seiner Dissertation geschummelt hat."
Das gleiche passiere, wenn Peščanik berichte, dass der Chef der größten Privatuniversität in Serbien gar kein Doktor ist. Und dass an seiner Uni die eine Hälfte der Minister der aktuellen Regierung unterrichtet - und die andere ihren Doktor gemacht hat.
"Und was macht die Polizei, als wir das ganze zur Anzeige bringen? Behandelt uns, als seien wir die Beschuldigten. Dann passiert ein Jahr lang nichts. Sie tun nicht mal so, als würden sie was tun. Das ist ein Signal an alle in Serbien: Jeder darf jedes Verbrechen begehen – es wird nichts passieren."
Lukić ist sicher, dass Vučić und Co. die anstehenden Privatisierungen der großen Medien nutzen werden, um noch mehr Zeitungen, Radio- und TV-Sender unter ihre Kontrolle zu bringen - "sei das über Strohmänner oder ganz offen." Es bestehe die reale Gefahr, dass das was es heute noch an unabhängigen Medien gibt, die kommenden Monate nicht übersteht.
"Das derzeitige Serbien verdient die Eröffnung des 23. Kapitels der EU-Beitrittsverhandlungen nicht. Wenn es trotzdem eröffnet wird, wäre das eine sehr schlechte Botschaft, denn die Regierung würde das als Signal dafür verstehen, dass sie im Land machen kann, was sie will." Die Forderung von EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn nach "Beweisen für Zensur in Serbien" geht für Lukić in die falsche Richtung: "Manchmal ist es besser, nichts zu sagen als das Falsche. Premier Vučić wiederholt den Satz ständig. Und fragt uns: Was wollt ihr denn, die ihr für Europa seid, euer Vertreter sagt doch, dass es kein Problem mit Medienfreiheit gibt."
Željko Ivanović fügte hinzu, es sei wichtig für die europäische Öffentlichkeit zu wissen, dass die lokalen Führer auf dem Westbalkan seit über 20 Jahren die dortige Wirtschaft kontrollieren und daher heute zu den reichsten Politikern Europas gehören. Sie setzten in letzter Zeit immer mehr auf Lobbygruppen, die sowohl bei europäischen Parlamentariern als auch bei amtierenden Ministern Stimmung für ihre Auftraggeber machen.
"Wenn in Montenegro etwas passiert, was ein schlechtes Licht auf die Regierung wirft, wissen wir schon, dass sich Jelko Kacin von der Liberaldemokratie Sloweniens (LDS) und Mitglied des Europa-Parlaments melden und Djukanović verteidigen wird, genauso wie der britische Parlamentarier Charles Tannock und der slowakische Vizepremier und Außenminister Miroslav Lajčák."
Deren positive Aussagen würden dann in den Regimemedien breitgetreten – was für die Öffentlichkeit heiße, "schaut mal die Idioten von den unabhängigen Medien und aus der Zivilgesellschaft, das sind Verrückte, die haben persönlich was gegen unseren Premier, für den bekannte europäische Politiker die Hand ins Feuer legen."
Eine Frage aus dem Publikum gab dem Gespräche ein neue Richtung: Werden Medien durch finanzielle Unterstützung von außerhalb ihrer Länder nicht auch korrumpiert? Für Svetlana Lukić ist das "meine Lieblingsfrage, wenn es um Geld geht." In Ermangelung staatlicher Unterstützung und ohne Zugang zum Werbemarkt werde Peščanik natürlich von ausländischen Spendern finanziert – aber das reiche gerade mal für die Server und das technische Personal.
"Ich wünsche niemandem, dass er unter diesen finanziellen Umständen arbeiten muss. Aber mich hat in 25 Jahren kein einziger Spender gefragt, was ich wo geschrieben oder gesendet habe. Oder irgendetwas von mir gefordert. Mein Verständnis ist, dass sie uns ihr Geld geben, weil wir gemeinsame Interessen haben: dass Serbien ein normales Land wird, dass Kriegsverbrecher verurteilt werden. Wenn das anders wäre, hätte ich niemals Geld angenommen."
Leila Bičakčić fügte hinzu, CIN würden gern auch Gelder von der eigenen, bosnischen Regierung nehmen - aber die würden nicht nach demokratischen Prinzipien vergeben: "Es gibt nicht nur keine Antragsprozedur. Die Mittel, die die unsere Regierung vergibt, werden gar nicht öffentlich ausgeschrieben."
Vergangenes Jahr habe die Regierung des serbischen Teilstaates 5 Millionen Euro verteilt – ausschließlich an ihr nahestehende Medien. "Kein einziges unabhängiges Nachrichtenportal, keine kritische lokale Radiostation hat etwas erhalten."
Im zweiten Panel sollte es nach Willen von Moderator Dr. Andreas Poltermann, dem Leiter des Heinrich-Böll-Büros in der serbischen Hauptstadt Belgrad, um die "Sticks and Carrots" gehen, die Europa Beitrittskandidaten anbieten und androhen kann. In diesem Zusammenhang erinnerte er an die "Rabatte", die die EU angeblich beim Beitrittsprozess gewähre – eine Einschätzung, der der leider nicht mehr anwesende Gernot Erler heftig widersprochen hatte.
Zuerst jedoch bat Poltermann den mazedonischen Journalisten, Analysten und Präsidenten der lokalen Branch der Antikorruptions-NGO Transparency International Sašo Ordanoski um eine Zusammenfassung der Lage in seinem Heimatland, das es vor wenigen Wochen seit langem einmal wieder in die Berichterstattung der westeuropäischen Medien geschafft hatte.
In der Stadt Kumanovo nahe der Grenze zum Kosovo waren bei einem Schusswechsel zwischen Polizei und albanischen Bewaffneten mehrere Menschen zu Tode gekommen. Die Massendemonstrationen gegen die Regierung Gruevski, die zu diesem Zeitpunkt bereits seit Wochen anhielten, fanden hingegen weit weniger Medienecho.
Zur Illustration der Lage der Medien in Mazedonien zeigte Ordanoski während seines Beitrags auf einer Leinwand Bilder von neun Autos, die in den vergangenen sieben Wochen über Nacht ausgebrannt waren – darunter auch sein eigenes Fahrzeug. Alle Wagen gehörten Journalisten, die kritisch über die Regierung berichtet hatten. In einem Fall hatten Unbekannte einen Kondolenzkranz mit der Aufschrift "Letzter Gruß" hinterlassen.
"Seit dem ersten Tag im Amt 2006, vor zehn Jahren, war die aktuelle mazedonische Regierung intern sicher, dass sie nicht der EU beitreten möchte", so Ordanoski. "Sie hatte ein anderes Projekt: Eine große Umverteilung der Macht und des materiellen Reichtums im Staat."
Um dieses Projekt umzusetzen habe die EU möglichst weit von den staatlichen Institutionen Mazedoniens ferngehalten werden müssen – denn jeder Schritt, der näher in Richtung Brüssel geführt hätte, hätte eine Verstärkung der Kontrollen durch die EU bedeutet. Heute kontrolliere die Regierung das Land quasi komplett. "Ihre Methode dabei war und ist Populismus – und dabei ist der Schlüssel zur Macht die totale Kontrolle über das Narrativ. Das muss geschlossen sein, darf keine erzählerischen Schlaglöcher haben. Und es muss der Öffentlichkeit auf möglichst vielen Kanälen erzählt werden, denn es muss sie hypnotisieren."
Dazu brauche es eine möglichst totale Kontrolle der Medien. 2010 habe die Regierung Gruevski daher die wichtigste private TV-Station geschlossen und Besitzer und Management wegen Steuerhinterziehung verhaftet. Dann habe die Westdeutsche Allgemeine Zeitungsgruppe die drei größten Tageszeitungen an die Regierung verkauft. Über andere Kanäle habe sich die Regierung weitere Medien angeeignet. "Heute kontrolliert sie 90 bis 95 Prozent der Medien im Land", sagte Ordanoski weiter, "und ist gleichzeitig der größte Anzeigenkunde. Ein bis eineinhalb Prozent des Staatshaushalts werden für Werbung ausgegeben. Stellen sie sich vor, was passieren würde, wenn die deutsche Regierung das tun würde!"
Populisten schaffen für Ordanoski Institutionen nicht ab - sie benutzen sie und ruinieren sie dabei. "Als Gruevski 2006 die Regierung übernahm, arbeiteten in dem knapp Zwei-Millionen-Einwohnerstaat Mazedonien circa 96.000 Leute in der Verwaltung. Heute sind es fast 200.000."
Zusammen mit der fast totalen Kontrolle über die Medien sichert die Regierung ihre Macht also auch über einen klientelistisch organisierten Staatsapparat ab – mit dem Ziel, jede Wahl an jedem Tag oder in jeder Nacht des Jahres gewinnen zu können. "In den vergangenen acht Jahren hatten wir acht Wahlen. Für die Populisten sind sie eine Methode, um ihre Anhänger zu mobilisieren. Sie führen sie nicht durch, wenn sie sie verlieren könnten. Es geht darum zu beweisen, dass es keine Alternative zu ihnen gibt." Wenn die EU sich einmische, werde geblufft. "Und was will Brüssel auch schon tun mit einem Staat, der offiziell EU-Kandidat ist, aber dessen Regierung inoffiziell sagt, dass ihr egal ist, was Europa meint."
Die Leute, die die Machtbasis der Regierung bilden, sind für diese "nicht nur in derselben Partei, sie sind Familie. Und die Familie, die Mazedonien regiert, ist hoch kriminell. Sie hat nicht nur meine Telefonate abgehört und ein ganzes, dickes Dossier über mich angelegt. Mit ihren besten Freunden und engsten Mitarbeitern ist sie genauso verfahren. Und mit 26.000 weiteren Staatsbürger auch."
Die einzigen, die nicht abgehört wurden, seien der Premier und der Geheimdienstchef. "Es heißt, der und der Büroleiter seien jeden Morgen mit einem speziellen Computer zum Gruevski gegangen und hätten ihm die interessantesten 20, 50, 100 Gespräche vorgespielt. Es ist einfach, Politik zu machen, wenn man alles weiß. Über Freunde und Feinde. Nicht nur politisches, auch privates."
Ordanoski ist sicher: Wenn das in Deutschland passiert wäre, wäre die Regierung am selben Nachmittag zurückgetreten. In Mazedonien dagegen wurde sein Pass eingezogen, vier oder fünf Leute aus seinem Umfeld säßen unter dem Vorwurf des Staatsstreichs im Gefängnis. Und die Verantwortlichen verhandelten unter europäischer Vermittlung über die Bedingungen einer weiteren Demokratisierung. Immerhin habe sich in Mazedonien als Reaktion auf den Skandal eine echte Bürgerbewegung gebildet. Die sei nur teilweise mit den Oppositionsparteien verbunden, aber dafür multiethnisch: Auf den täglichen Demonstrationen würden sowohl mazedonische als auch albanische, türkische, serbische und Roma-Fahnen gezeigt.
Für Ordanoski ist klar, dass es mit Kriminellen keine Verhandlungen geben darf. "Jetzt muss man sagen: Wir reden nur weiter über den Beitritt zur EU, wenn dieser Premierminister und diese Regierung zurücktreten. Dann brauchen wir zehn Monate unter einer Expertenregierung, die Wahlen organisiert."
EU-Erweiterungskommissar Hahn jedoch betreibe eine ganz andere Politik. "Er war in Österreich unter anderem leitender Manager einer Casinokette, die seit Jahren sehr aktiv in Mazedonien ist. Und da das Casinogeschäft in allen Ländern staatlich lizensiert werden müsse, haben deren Betreiber viel mit der jeweiligen Regierung zu tun. Und jetzt vermittelt er zwischen Mafia und Opposition."
Er wolle das nicht kommentieren, so Ordanoski, "ich berichte Ihnen reine Fakten. Wahrscheinlich macht Herr Hahn seine Arbeit völlig korrekt, aber ich sitze in Mazedonien mit meinem ausgebrannten Auto... da fragt man sich vieles und beginnt, sich vor allen möglichen Kombinationen zu fürchten."
Ordanoski prognostizierte, dass Hahns Vermittlung ohne Ergebnis zu Ende gehen wird. Und dass Mazedonien bald eine andere Art Sonderbeauftragen brauchen wird - "wahrscheinlich nicht nur im Auftrag der EU, sondern auch der USA und vor allem mit mehr Macht und einem sehr klaren Auftrag - denn wenn die Verhandlungen misslingen, werden Leute auf die Straße gehen, die bereit sind, für ihre Freiheit zu kämpfen. Sie haben nur diese Wahl – oder sie packen ihre Koffer und kommen nach Deutschland."
Adelheid Wölfl ist sicher, dass die Lage der Medien auf dem Westbalkan für die Menschen dort nicht nur ein Indikator für die Freiheit oder Unfreiheit in ihren Staaten ist - sondern für den Erfolg oder Misserfolg der EU. "Je schlechter die Situation der Medien ist, desto weiter fühlen sie sich entfernt von Europa", so die in Sarajevo lebende Südosteuropa-Korrespondentin der österreichischen Tageszeitung Der Standard und regelmäßige Autorin des Berliner Tagesspiegels.
Auch Diplomaten vor Ort fühlten sich oft von ihren Entsendeländern und der EU insgesamt im Stich gelassen. Einige seien selbst Opfer von Medienkampagnen geworden. "Es kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, wie wichtig es für die Leute ist, wie die EU reagiert." Die serbische Öffentlichkeit nehme sehr genau wahr, wenn Erweiterungskommissar Hahn "Beweise" statt "Gerüchte" für die Zensur dort fordert - und von Premier Vučić öffentlich dafür gelobt wird, dass er dem "Druck der Medien" trotzen würde.
"Die Politik beeinflusst die Medienlandschaft auf dem Westbalkan auf verschiedene Weise. Einerseits wird über politische Realitäten einfach überhaupt nicht mehr berichtet. Das führt dazu, dass mich die Leute in Kumanovo als ausländische Journalistin fragen, was in ihrem Land los ist. Es gibt ein großes Misstrauen gegenüber den lokalen Medien."
Medienmanipulationen, die von den Regierungen des Westbalkans ausgehen, hätten mittlerweile auch Auswirkungen auf internationale Medien.
"Als es bei dem Fußballspiel Albanien-Serbien im Oktober vergangenen Jahres in Belgrad zu dem berühmten Zwischenfall kam, berichtet CNN in der ersten Meldung, der Bruder des albanischen Premierministers und Trainer der albanischen Mannschaft habe die Drohne mit der albanischen Fahne über dem Stadion aufsteigen lassen."
Wölfl war schockiert, denn sie wusste, dass das nicht stimmte. "In der zweiten CNN-Meldung stand dann, das Büro der serbischen Premiers habe behauptet, dass der albanischen Trainer die Drohne gelenkt habe. Dass der Premierminister selbst diese Propaganda aussendet zeigt, dass wir in Europa mittlerweile auch schon betroffen sind von dieser Desinformationspolitik."
Auch Adelina Marini ist sicher: "Medienunfreiheit in Südosteuropa betrifft uns in der EU viel mehr, als wir denken – denn wo es keine freien Medien gibt, kann es keine gesellschaftliche Reform geben." Die bulgarische Journalistin hat lange Zeit für den staatlichen Rundfunk in ihrem Land gearbeitet, dann das Portal euinside gegründet, das sie heute von Zagreb, Kroatien aus leitet. Den Focus von euinside hat sie auf den ganzen Westbalkan ausgeweitet.
Wichtiger als das schlechte Abschneiden der Nicht-EU-Staaten des Westbalkans beim World Press Freedom Index sei, dass nach acht Jahren EU-Mitgliedschaft Bulgarien ebenfalls nur auf Platz 106 von 180 läge. "Vor zehn Jahren war es Platz 48. Das Land ist also um fast 60 Plätze abgerutscht."
Mazedonien, das noch nicht mal mit den Beitrittsverhandlungen begonnen hat, sei die Nummer 117. 2005, als dem Land der Kandidatenstatus gegeben werden sollte, war das Platz 45. Und Ungarn, das Land, wo die EU sich so sehr gegen die aufkommende Autokratie engagiert, liege auf Platz 65 – also 41 Positionen besser als Bulgarien. "Warum ist Bulgarien nicht im Zentrum der Diskussion? Vor allem angesichts der Tatsache, dass Bulgarien mit einem Mechanismus in die EU aufgenommen wurde, der dem Land helfen sollte, Justizreformen abzuschließen – nicht etwa zu beenden."
Zehn Jahre lang hat sich niemand um Mazedonien gekümmert. Die EU habe es sich einfach gemacht und gesagt: Ihr habt einen Namensstreit mit Griechenland, löst den und kommt dann wieder. "Sie wollten sich nicht einmischen, nicht selbst nachsehen, was das Problem ist, ob Griechenland vielleicht im Unrecht ist. Immerhin ist Griechenland EU-Mitglied." Im gleichen Zeitraum sei dem Mitgliedsstaat Ungarn viel Aufmerksamkeit geschenkt worden - sowohl seitens der Medien als auch der EU-Institutionen. Der umstrittene ungarische Premierminister Orbán habe vor ein paar Wochen sogar an einer Debatte über die Freiheit der Rede im Europäischen Parlament teilgenommen.
Auch Rumänien habe die EU mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen als anderen Ländern. Als die Kommission 2012 ihren Bericht für dieses Land vorlegte, habe es in tiefen politischen Krise gesteckt. Die Politik mischte sich in die Geschäfte des Verfassungsgerichts ein usw. Die Kommission habe eindeutig klar gemacht, dass solche Zustände in einem EU-Mitgliedsland nicht duldbar sind.
„In Bulgarien passierte nichts dergleichen. Und wo steht das Land heute? Es lebt in zwei Paralleluniversen". Schuld daran sei ein Medienimperium, das in den vergangenen knapp 10 Jahren unter den Augen der Regierung, des Parlaments und der Zivilgesellschaft aufgebaut wurde. Was wir derzeit in Mazedonien erleben, sei eine Wiederholung des bulgarischen Szenarios.
"Der Besitzer des Medienimperiums heißt Deljan Peewski,“, berichtete Adelina Marini, „ein sehr junger Mann, der eine geradezu unfassbare politische Karriere hinter sich hat, wobei niemand die geringste Ahnung hat, wie. Und wenn jemand diese Frage stellt, gibt es keine Antwort."
Peewski habe mit Mitte 30 bereits Positionen von Parlamentarier bis Richter innegehabt – obwohl er über keinerlei Qualifikationen für diese Ämter verfügt. Als er 2013 zum Chef des mächtigsten Geheimdienstes ernannt wurde, habe das die größten Proteste seit dem Ende des Kommunismus ausgelöst. "Die Frage 'Wer steckt hinter dieser Stellenbesetzung?' wurde - verkürzt auf ein 'Wer?' - zum Synonym für eine Bewegung, die Demokratie, freie Medien und Zustände wie in einem normalen europäischen Land nach den Standards der alten Mitgliedsländer einforderte."
Und was tat Peewski? "Sein Medienimperium zerstörte den Ruf der wichtigsten Aktivisten der Proteste. Sie wurden - wie in Mazedonien - als von ausländischen Kräften bezahlt diffamiert. Derweil organisierten die Regierung und die, die dahinter stecken, Gegendemonstranten, die mit aus öffentlichen Kassen bezahlten Bussen herangebracht wurden, denn Parteien werden durch Steuern finanziert."
Adelina Marini wundert, dass die EU nicht mehr auf die Entwicklungen in Bulgarien schaut. "Die Zustände dort haben sich durch die Veränderung der Erweiterungsstrategie nicht geändert. Es besteht die reale Gefahr, dass die Eliten in Südosteuropa das Rezept nachahmen: Während der Beitrittsverhandlungen kommt man der EU entgegen – und kehrt nach dem Beitritt zu dem Zustand zurück, der vorher herrschte."
Manuel Sarrazin, Europapolitischer Sprecher der Grünen, Mitglied des Deutschen Bundestages und im dortigen Europaausschuss hielt dagegen, bei aller Kritik würde niemand in der EU das Modell aufgeben wollen, eine Transformation von Kandidatenländern über eine erleichterte Beitrittsprozedur zu erreichen.
"Das wäre auch Unsinn, denn wenn man sich die Zahlen zu den Transformationsländer insgesamt anguckt, dann liegen EU-Mitgliedsländer und Kandidaten ganz vorne bei dieser Entwicklung, auch Rumänien und Bulgarien. Wenn man sie mit Staaten in der Nachbarschaft vergleicht, die keine Beitrittsperspektive hatten, etwa die Ukraine oder Weißrussland oder Russland, dann sieht man, dass die Situation dort weit schlechter ist," sagte Sarrazin.
Was man für Sarrazin den Verantwortlichen in allen Staaten sagen müsste, die der EU beitreten wollen, ist: "Wenn ihr beim Beitrittsprozess so schlecht abschneidet wie Bulgarien und Rumänien, dann wird niemand das deutsche Parlament dazu bringen, eurem Beitritt zuzustimmen."
Im Moment sei die größte Gefahr, dass Regierungen in Südosteuropa zwei strategische Argumente anführen: Die Lage in der Ukraine und die Frage, welche Schritte dazu angetan sind, die Situation im jeweiligen Land zu verbessern. "Vor einiger Zeit saßen wir in einem Meeting mit den Außenministern der Region – und anschließend hatten einige Teilnehmer den Eindruck, dass die uns letztendlich sagen wollen: alles in Ordnung, wir sind alle Freunde, Liebe und Frieden - aber rechnet nicht mehr so sehr mit Demokratie und so."
Die Wahl Frieden und Demokratisierung sei keine einfache. "Es ist wirklich wichtig, dass die EU klar sagt: Wir haben klare Kriterien, eine klare Prozedur. Aber das wird man nicht in jedem Moment sagen können." Was die Freiheit der Medien angeht sei richtig, dass es damit auf dem Westbalkan nicht zum Besten steht. Auch das Fehlen echter Märkte und die ständige Einmischung der Staaten sei bekannt – aber es gäbe auch Probleme, die es auch in Deutschland gibt, etwa das sinkende Vertrauen in die Medien und den Einfluss der Propaganda aus Russland.
Sašo Ordanoski regierte auf Sarrazins Vortrag irritiert – und warf dem grünen Europapolitiker vor, die Lage der Medien auf dem Westbalkan und vor allem in Mazedonien zu relativieren. Er verwies auf die Fälle von Gewalt gegen Journalisten, die er zuvor gezeigt hatte. Das habe nichts mit den Problemen der Medien in Deutschland oder Polen zu tun.
"In der mazedonischen Hauptstadt Skopje hat die EU ein fünfstöckiges Gebäude, inklusive der Botschafter gibt es dort um die 1.500 EU-Diplomaten. Wir haben eine Regierung, die gegen jeden, der gegen sie ist, Gewalt anwendet. Wozu sind die EU-Vertreter da, wenn sie das nicht bemerken?"
Aber in Ost- und Südosteuropa gibt es hunderttausende Menschen, mit denen Zusammenarbeit lohnt. An diese Leute – und nicht an die Mächtigen – muss sich halten, wer anhaltenden Wohlstand und damit Frieden an Europas Peripherie bringen will.