Jugoslawische Soldaten, albanische Milizionäre, brennende Ortschaften und Hundertausende Menschen auf der Flucht - aus der "Krise" im Kosovo ist ein ausgewachsener Krieg geworden. Die Nato vermeldete gestern, im Falle eines endgültigen Scheiterns der Holbrooke-Mission in Belgrad sei man einsatzbereit. In unmittelbarer Reichweite der Kämpfe im Kosovo warteten über 400 Kampfflugzeuge des Bündnisses auf sechs mit Cruise-Missile-tauglichen Raketenwerfern bestückten Flugzeugträgern auf ihren Einsatzbefehl. Hinzu kommen Kampfbomber der Typen F15 und B52, F117-Kampfflugzeuge, Radarstöranlagen und Tankflugzeuge.
Gegen dieses Aufgebot haben die 14- bis 18.000 jugoslawischen Soldaten im Kosovo zusammen mit rund 20.000 Kameraden, die Belgrad um die Krisenprovinz herum stationiert hat, wohl kaum eine Chance. Frieden im Kosovo - für die Nato kein Problem?
Mitnichten. Militärisch hat das Bündnis zwar alle Vorbereitungen für ein Eingreifen im Kosovo getroffen. Auf der politischen Seite jedoch scheint es, als setzten sich die Nato-Mitgliedstaaten selbst mehr unter Druck als den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic und seine Schergen. Denn bis heute hat die politische Führung der Nato-Mitgliedsländer keinerlei zivile Planung für den Tag nach den Bombardements.
Angesichts dessen sind die immer wieder vorgebrachten Vorbehalte gegen einen Nato-Einsatz nur zu verständlich. Das fängt in der unmittelbaren Nachbarschaft des Kosovo an: Die Regierung der ex-jugoslawischen Republik Makedonien, wo die meisten Nato-Bodentruppen auf ihren Einsatz warten, schließt Angriffe von ihrem Territorium kategorisch aus. Hintergrund: Makedonien will auf keinen Fall in einen Krieg mit Jugoslawien hineingezogen werden. Die kleine Armee des Landes ist nicht auf einen solchen Konflikt vorbereitet - und eine Nato-Zusicherung, Makedonien zu verteidigen, gibt es bisher nicht.
Die makedonischen Ängste sind nicht unbegründet: Erst letzte Woche war eine jugoslawische Armeeinheit auf makedonisches Territorium vorgedrungen und hatte sich erst nach Stunden wieder zurückgezogen. Niemand außer Makedonien selbst protestierte.
Auch in Montenegro, der weiter südlich gelegenen kleineren Teilrepublik Rumpf-Jugoslawiens, steht man einem Nato-Einsatz skeptisch gegenüber. Zwar hatte Präsident Mile Djukanovic schon vor Wochen alle montenegrinischen Soldaten in der jugoslawischen Armee aufgefordert, sich nicht an Aktionen im Kosovo zu beteiligen. Doch angesichts von rund 20.000 jugoslawischen Soldaten im Lande muß Montenegro bei aller Ablehnung der Belgrader Politik vorsichtig bleiben.
Außerhalb Ex-Jugoslawiens sind vor allem Rußland und China nach wie vor offen gegen einen Nato-Einsatz im Kosovo. Anläßlich des Besuches des russischen Premiers Primakow in Washington drohte die Regierung in Moskau gestern, im Falle eines Angriffes auf Jugoslawien werde dieser seinen Besuch sofort abbrechen. Hintergrund der russischen Haltung dürfte jedoch weniger die angebliche alte Freundschaft zwischen den slawischen Staaten sein. Vielmehr hat man in Rußland erhebliche Probleme mit der Nicht- Mandatierung der Nato-Truppen durch den UN-Weltsicherheitsrat - und dem zu erwartenden Gewinn an Macht für das westliche Militärbündnis im Falle einer erfolgreichen Befriedung des Kosovo.
Ganz ähnliche Gründe stehen hinter der Kritik aus Peking. Dort forderte gestern das Außenministerium alle Parteien zur Zurückhaltung auf - und wiederholte die chinesische Position, daß ein militärisches Vorgehen der Nato ohne vorherige Zustimmung des UN-Sicherheitsrats "unannehmbar" sei. Doch die kritische Haltung dieser Staaten ist nicht der einzige Grund, weswegen die Nato auch gestern mit einem Angriff auf Jugoslawien weiterhin zögerte.
Auch in Westeuropa und den Vereinigten Staaten meldeten sich immer wieder Stimmen gegen einen solchen Einsatz. Im US-Kongreß fragen nicht nur oppositionalle Abgeordnete täglich, was denn die Aktion für die USA bringe. Auch die Regierung in Bonn sorgt sich mehr um die Gesundheit ihrer 3.000 Soldaten in Makedonien als um den Erfolg oder Mißerfolg des Bündnisses im Kosovo. Diese und zahlreiche andere Stellungnahmen aus anderen Mitgliedstaaten müssen bei der Nato Zweifel aufkommen lassen, ob sie wirklich mit der vollen Unterstützung aller Verbündeten rechnen kann.
Wie wenig die beste militärische Vorbereitung nutzt, wenn sie ohne politische Unterstützung bleibt, lernen die Nato-Militärs seit 1995 in Bosnien-Herzegowina. Dort hatte die Nato zwar ihr Ziel - die Beendigung aller Kämpfe - schnell erreicht. Doch die dem Konflikt zugrunde liegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme kann das Militärbündnis nicht lösen.