Während in den UN-"Schutzzonen" Sarajevo, Maglaj, Tesanj und entlang der kroatisch-bosnischen Linien im Süden erneut schwer gekämpft wurde, drehte sich gestern in Bosnien das Personalkarussell. Der Führer der abtrünnigen westbosnischen Enklave Bihac, Fikret Abdic, meldete Anspruch auf das Amt des bosnischen Präsidenten an.
In einem in der kroatischen Hauptstadt Zagreb veröffentlichten Brief schrieb Abdic, er sehe sich aufgrund der Politik des derzeitigen Präsidenten Izetbegovic und dessen "Beitrags zu den Verbrechen an den Muslimen" gezwungen, als verfassungsmäßiger Präsident Bosniens zu sprechen". Der Direktor des größten landwirtschaftlichen Betriebes Ex-Jugoslawiens, "Agrokomerc", erinnerte daran, daß er nach den Wahlen vom Dezember 1990 trotz Stimmenmehrheit zugunsten von Izetbegovic auf das höchste Amt verzichtet habe.
Nach über zwei Jahren Krieg aber könne er nun nicht mehr zulassen, daß Izetbegovic seinen "persönlichen Vorteil aus Tod und Leiden der unschuldigen Bürger" Bosniens ziehe. Izetbegovic versuche "um jeden Preis, seine monarchistische Herrschaft in Bosnien herzustellen". Der Autonomist betonte, er werde sich als Präsident für ein sofortiges Ende des Krieges einsetzen. Dabei strebe er "die Unterstützung der Präsidenten Serbiens und Kroatiens an". Für die Region Bihac, bislang eine bosnische Insel in serbisch besetztem Gebiet, hatte Abdic in der vergangenen Woche separate Friedensverträge mit den bosnischen Serben und Kroaten unterzeichnet. Die Autonomisten kontrollieren zur Zeit rund die Hälfte der Region Bihac, die Stadt selbst wird von Izetbegovic-treuen Truppen kontrolliert.
Wohl als Antwort auf Abdics Forderungen hat das Rumpf-Präsidium Bosnien-Herzegowinas gestern Haris Silajdzic mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Dieser höchsten Körperschaft der ehemaligen jugoslawischen Republik gehören Vertreter der zu Sarajevo loyalen Regionen und Parteien an. Nach Berichten von Radio Sarajevo wurde der derzeitige Außenminister Silajdzic von der "Partei der Demokratischen Aktion" (SDA) Izetbegovics für das Amt des Premiers nominiert, da er als Außenminister international "hohes Ansehen" erlangt habe.
Der 48jährige Silajdzic, der an fast allen Bosnien-Gesprächen der UNO und der EG beteiligt gewesen war, war nach dem Sieg der SDA in den ersten freien Wahlen im November 1990 zum Außenminister ernannt worden. Als Premier soll er nun die Nachfolge des Kroaten Mile Akmadzic antreten, der Ende August aufgrund des von ihm unterstützten offenen Bruchs zwischen den bosnischen Kroaten und der Regierung in Sarajevo aus dem Amt entlassen worden war.
Die Nominierung Silajdzics wurde in Sarajevo als Zeichen einer angestrebten Zentralisierung und Straffung der Arbeit der bosnischen Regierung gewertet. Erst am vergangenen Mittwoch hatte das Rumpf-Präsidium drei neue Mitglieder ernannt, die den wegen Separatismus abgesetzten Fikret Abdic sowie zwei weitere ausgeschiedene Kroaten ersetzen sollen.
Währenddessen wurden sowohl Patrouillen der UN-Blauhelme als auch UN-Hilfskonvois in Bosnien erneut angegriffen. In der Gegend von Novi Travnik wurde ein dänischer UN-Fahrer erschossen, als sein Konvoi plötzlich zwischen die kroatisch-bosnischen Linien geriet. Fünf niederländische Blauhelme wurden bei dem Angriff schwer verletzt. Bei einem weiteren Zwischenfall wurden Angehörige eines skandinavischen UN- Bataillons von kroatischen Truppen bei dem Versuch beschossen, in das Dorf Stupnij Dol in der Nähe von Vares vorzudringen. Nach Berichten des Bosnischen Rundfunks sollen kroatische Milizen dort am Wochenende 270 muslimische Zivilisten getötet haben.