Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Fleischgeschichte

Einen Veggie Day wollen die Grünen nach der Bundestagswahl am 22. September in Kantinen einführen. Ihrer Meinung nach verkonsumiert die Bevölkerung der Bundesrepublik zu viel Fleisch: Im vergangenen Jahr 89,2 Kilogramm Fleisch pro Kopf. Am neuen, fleischfreien Tag soll ausschließlich fleischlos und gerne auch vegan gekocht werden, um diesen Verbrauch zu senken - denn zu viel Fleisch gilt heute als ungesund, Tierzucht, -schlachtung und Transport schädigen zudem die Umwelt und das Klima.

Vor 100 Jahren sah das anders aus: Damals war "Fleischnot" eine der wichtigsten Parolen im SPD-Reichstagswahlkampf. Der Fleischkonsum lag bei 40,9 Kilogramm pro Kopf und Jahr - unter anderem, weil sich nur die oberen Gesellschaftsschichten das teure Nahrungsmittel regelmäßig leisten konnten. Das änderte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg. 1960 kostete das Kilo Schweinefleisch noch 1,6 Prozent des monatlichen Nettoverdienstes, 2002 waren es nur 0,28 Prozent.

Eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Zunahme des Fleischkonsums spielte der Wandel der Medizin. 1870 waren Brot, Hülsenfrüchte und Kartoffeln Hauptnahrungsmittel in Deutschland - und die meisten Ärzte predigten, dass die Leute mehr Fleisch essen sollten. Vom Verzehr von rohem Obst und Gemüse rieten die Doktoren ab, denn Vitamine und ihre Bedeutung waren unbekannt. Daher verzehrte man Pflanzliches vor allem getrocknet - bis die gesundheitsfördernde Wirkung von Vitaminen Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt wurde. RR