Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Gemeinsam gegen den Krieg spielen

Gesichter der Großstadt: Ein Deserteur aus Kroatien veranstaltet Anfang September ein Anti-Krieg-Festival mit Bands aus Serbien, Kroatien und Bosnien | Von Rüdiger Rossig

Der 30jährige Schlagzeuger Boris Leiner gerät ins Schwärmen, wenn es um die jugoslawische Szene der achziger Jahre geht. "Das war meine absolute Hochzeit, der Höhepunkt des Punk", erzählt er, und die Augen unter den langen Haaren und der hohen, ausrasierten Stirn beginnen zu leuchten. "Wir waren in ganz Jugoslawien unheimlich angesagt, haben ein Konzert nach dem anderen gespielt, es war eine Art Dauerparty, ein ungeheures Hochgefühl. Hättest du mir damals gesagt, daß es in zehn Jahren Krieg gibt, ich hätte dich für verrückt erklärt."

Angefangen hatte Leiners Karriere Mitte der Siebziger, als er den Gitarristen Dzoni Stulic kennenlernte und die beiden Zagreber mit drei Freunden "Azra" gründeten: "Der Erfolg war unglaublich, wir erhielten schon für unsere erste LP die Silberne Schallplatte."

Nicht nur "Azra" hatten Ende der siebziger Jahre unerwarteten Erfolg. Auch andere New-Wave- Bands in den Städten der jugoslawischen Föderation ließen den hausbackenen Jugorock der Sechziger und Siebziger hinter sich.

Im Herbst 1991 verließ Boris Leiner das zerfallende Jugoslawien. "Ich bin Schlagzeuger, aber das Donnern der Kanonen ist mir zu laut", witzelt er, um seine Probleme mit dem Wort "Deserteur" zu überspielen. "Eigentlich bin ich weniger desertiert als einfach gegangen. Ich bin vor etwas geflohen, mit dem ich nichts zu tun haben will." Leiner packte sein Schlagzeug in seinen klapperigen VW-Käfer und fuhr nach Berlin. "Ich wußte, daß es hier eine große Szene gab", erklärt er, "also dachte ich, daß hier der richtige Ort für einen Neubeginn wäre."

Seitdem hat Boris Leiner eher an seine Zagreber Anfangszeiten angeknüpft als neu begonnen. Er machte Straßenmusik und lernte dabei Mitglieder der Band "Love Sister Hope" kennen, die zufällig gerade einen Schlagzeuger suchten. "Ich konnte also genau da weitermachen, wo ich in Kroatien aufgehört hatte." Der Kontakt in die alte Heimat riß dabei nicht ab. Leiners Zagreber Band "Vjestice" (Hexen) gab seit dem "Umzug" ihres Drummers an die Spree über zehn Konzerte in Berlin. "Bei jedem Auftritt kamen mehr Leute: Kroaten, Serben, aber auch ganz normale Deutsche. Da muß ich größenwahnsinnig geworden sein." Zusammen mit einem alten Belgrader Freund kam Boris Leiner im Herbst 1992 auf die Idee, ein großes Anti-Krieg-Konzert ex-jugoslawischer Bands zu organisieren. Mit Hilfe deutscher Freunde machte er sich an die Planung des ersten gemeinsamen Konzertes serbischer, kroatischer und bosnischer Bands seit Beginn des Kriegs. Und deshalb werden am 3. September um 19 Uhr im Hof der Prenzelberger "Kulturbrauerei" die Gruppen "Ekaterina Velika", "Elekricni Orgazam" und die "Partibrejkers" aus Belgrad, "Zabranenjo Pusenje" aus Sarajevo, "Let 3" aus der kroatischen Küstenstadt Rijeka und natürlich Leiners "Vjestice" in Prenzlauer Berg gegen den Krieg spielen. Gemeinsam.