Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Wider die Kleinstaaterei

Warum die EU eine neue Innenpolitik braucht | Von Rüdiger Rossig

Manchmal muss man sich fragen: Gibt es die Europäische Union eigentlich überhaupt? Etwa wenn ein Mitgliedsland der EU dem Präsidenten eines anderen EU-Landes die Einreise verweigert. So geschehen Ende August zwischen den Nachbarländern Slowakei und Ungarn.

Der Grund: In der Slowakei lebt eine große ungarische Minderheit. Die rund 500.000 Menschen fühlen sich von einem neuen Gesetz zum Schutz der slowakischen Sprache in ihren Rechten bedroht.

Die slowakische Regierung bestreitet diese Bedrohung zwar entschieden - fühlte sich jedoch ihrerseits vom Besuch des ungarischen Staatsoberhaupts bei den slowakischen Ungarn "vorsätzlich provoziert". Deshalb die Einreise-Sperre. Und was tut die EU? Nichts.

Zum Glück gelang es der Slowakei und Ungarn mittlerweile, den Konflikt zu entschärfen. Die Außenminister der beiden EU-Staaten trafen sich und vereinbarten einen Neuanfang für die Beziehungen ihrer Länder. Ende gut, alles gut?

Nein, denn leider ist der slowakisch-ungarische Konflikt nicht der einzige seiner Art in Europa. Das EU-Mitglied Slowenien blockiert seit Monaten die Beitrittsverhandlungen mit dem EU-Kandidaten Kroatien. Die hätten eigentlich Ende dieses Jahres abgeschlossen sein sollen.

Stattdessen ist die EU-Mitgliedschaft Kroatiens nun in weite Ferne gerückt. Der Grund: Die beiden ehemals jugoslawischen Staaten können sich nicht einigen, wem von beiden ein paar Kilometern Mittelmeerküste gehören - und damit der Zugang zum offenen Meer. Die EU hatte Jahre lang versucht, zu vermitteln - ohne Erfolg.

Das gilt auch im Streit zwischen dem EU-Mitglied Griechenland und dem EU-Kandidaten Makedonien. Seit 1991 blockiert die Regierung in Athen einen Beitritt der ex-jugoslawischen Republik. Der Grund: In Griechenland ist man der Ansicht, dass die Bezeichnung "Makedonien" Ansprüche auf Gebiete im Norden Griechenlands impliziert.

Deshalb verhinderte die Regierung der elf Millionen Griechen jahrelang die Anerkennung des zwei Millionen Einwohnerlandes Makedonien durch die UN. Und seitdem tut Athen alles, um den EU-Kandidaten an seiner Nordgrenze aus dem vereinten Europa herauszuhalten.

Merkwürdig dabei ist dreierlei: Erstens sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Kontrahenten nach beiderseitigem Dafürhalten hervorragend. Ähnliches gilt auch für Slowenien und Kroatien und für die Slowakei und Ungarn.

Zweitens ist man auch in Griechenland, Slowenien und der Slowakei der Meinung, dass die bestehenden Probleme mit Ungarn, Kroatien und Makedonien das gute Zusammenleben in Europa nicht belasten sollten. Die Mehrheit der Griechen und Slowenen will zudem, dass Makedonien und Kroatien möglichst bald EU-Mitglieder werden.

Drittens und am Wichtigsten aber ist, was die Institutionen der EU in all diesen Konflikten tun: Sie versuchen, zu vermitteln. Und wenn das nicht geht tun sie ... nichts. Jetzt rächt sich, dass Europa nicht schon vor Jahren politische und juristische Mittel und Wege gefunden hat, um gegen EU-Mitglieder vorzugehen, die ihre eigenen, kleinlichen Interessen über die der Union stellen.

Es wird Zeit, dass Europa eine Innenpolitik entwickelt. Und zwar eine Innenpolitik, die es der Union erlaubt, Mitgliedsstaaten zur Raison zu bringen, die gegen die Interessen der EU handeln. Für EU-Mitglieder genauso wie für Beitrittskandidaten muss klar sein: Europa geht vor! Sonst können wir uns das vereinigte Europa sparen.
Wider die Kleinstaaterei