Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Bomben für Milosevic

Die Nato-Angriffe haben Milosevic' Macht nicht erschüttert. Sitzt der Belgrader Despot auch nach diesem Krieg wieder mit am Tisch? | Von Rüdiger Rossig

Als die Nato mit ihren Luftangriffen auf Jugoslawien begann, hieß es, die Aktion solle die "Krise" im Kosovo beenden. Davon ist 16 Tage später jedoch nichts zu merken. Im Gegenteil: Statt wie angekündigt die Polizei- und Militärmaschine Präsident Milosevic' zu einem Abbruch ihres Krieges gegen die albanische Zivilbevölkerung zu zwingen, haben die Nato- Aktionen deren Vertreibung aus der Provinz unterstützt.

Innerhalb von zwei Wochen haben mindestens eine halbe Million Albaner den Kosovo verlassen - die wohl schnellste, umfassendste und damit erfolgreichste "ethnische Säuberung" des Jahrhunderts. Milosevic kann zufrieden sein: Mittlerweile zwingen seine Handlanger gar Flüchtlinge, im Kosovo zu bleiben - als Schutzschild gegen Nato-Angriffe.

Ibrahim Rugova und seine Demokratische Liga LDK dagegen, die über zehn Jahre lang den friedlichen Widerstand der Kosovaren organisiert hatten, wurden von dieser Situation als politischer Faktor ausgeschaltet. Als Ansprechpartner für eine politische Lösung bleibt zukünftigen Vermittlern auf der albanischen Seite also nur die nationalistische Kosovo-Befreiungsarmee UÇK. Auf der anderen, serbischen Seite ist unter dem Eindruck der Nato-Angriffe jede Kritik verstummt. Nicht, daß Präsident Milosevic sich der Opposition brutal entledigt hätte. Nein, der politische Underground in Belgrad hat sich weitgehend selbst erledigt, indem eben nicht gegen die "ethnische Säuberung" des Kosovo, sondern nur gegen die Nato-Bomben protestiert wurde. Eine Opposition, die dieselbe Politik verfolgt wie das Regime, fällt als Ansprechpartner für eine friedliche Lösung aus. Wird die internationale Gemeinschaft letztendlich also wieder mit Milosevic am Verhandlungstisch sitzen?

Diese Situation erinnert an jene Ende 1995, als der Friedensvertrag von Dayton ausgehandelt wurde. Damals hat sich die internationale Gemeinschaft verpflichtet, Milosevic' Eroberungen in Bosnien abzusichern - einerseits politisch durch Aufnahme der Serbischen (Teil-) Republik in die neue Friedensverfassung, andererseits militärisch durch die Nato-Schutztruppe SFOR. Angesichts der gerade verlorenen serbischen Gebiete in Kroatien war dies das beste, was Milosevic passieren konnte: Statt als Verlierer in Kroatien stand er als Sieger in Bosnien da.

Wie konnte sich die internationale Gemeinschaft von dem balkanischen Arturo Ui keine drei Jahre später wieder in eine solche Lage bringen lassen? Schuld ist das politische Vakuum, das durch die vielen faulen Kompromisse mit Milosevic und den anderen Balkanführern in den letzten acht Jahren entstanden ist.

Von Beginn an verhandelten die internationalen Vermittler - von der EU in Kroatien über die UN in Bosnien und die OSZE im Kosovo immer nur mit den lautesten, aggressivsten nationalen Führern - und werteten sie damit auf. Die Tatsache, daß die Nationalisten aller Couleur den Krieg letztendlich entweder wollten - oder aber doch in der Konsequenz ihrer jeweiligen Nationalideologie irgendwann führen mußten -, wurde ignoriert. So wurden andere, kompromißfähige Kräfte politisch auch von außen marginalisiert.

Milosevic und Co. dagegen wurde immer wieder die Gelegenheit gegeben, Verhältnisse nach ihrem Gusto herzustellen. Zum Beispiel: Die Ex-"Serbische Republik Krajina" oder - je nach Sprachgebrauch - die "ehemals serbisch besetzten Gebiete Kroatiens" sind heute, fast vier Jahre nach ihrer Besetzung durch die kroatische Armee, fast menschenleer. Nicht mal aus dem serbischen Teil Bosniens vertriebene Kroaten wollen in einer Region leben, die Jahre nach der Wiedereingliederung in den kroatischen Staatsverband noch immer nach ihren vertriebenen Bewohnern riecht.

Die angeblich verschiedenen Konzepte der ganz realen Kriegsgegner führen auf dem Balkan überall zum selben Effekt: Das Land wird verwüstet und jeder wirtschaftlichen Möglichkeit oberhalb des Niveaus der Dritten Welt beraubt; aus ehemaligen Bürgern eines entwickelten europäischen Staates werden Stammesmitglieder, irgendwo in der Peripherie der kapitalistischen Welt. Solche destabilen, verunsicherten Gesellschaften liegen im Interesse von Herrschern wie dem kroatischen Präsidenten Tudjman oder Milosevic. Denn die Menschen lassen sich erfahrungsgemäß unter diesen Umständen viel leichter regieren als dort, wo selbstbewußte Bürger den Ton angeben.

Die internationale Gemeinschaft verhandelte auf dem Balkan stets nur mit Leuten, die den Frieden nicht unbedingt sofort, vor allem nur unter bestimmten Umständen wollen. Den Höhepunkt fand dies in Bosnien, wo die Unterhändler den serbischen, kroatischen und muslimischen Nationalisten nach vier Jahren Krieg einen Friedensvertrag aushandelten.

Weil heute, dreieinhalb Jahre nach Dayton, klar ist, daß dieses Projekt mißlungen ist, hat die Politik im Kosovo am 24. März das Heft aus der Hand gegeben. Seitdem führt die Nato die Verhandlungen auf ihre Weise. Dabei haben die Militärs den Politikern das Heft keineswegs entrissen. Die Generäle wußten sehr wohl, daß sie zwar den Krieg im Kosovo führen können, nicht aber dort Frieden herstellen. Auf der anderen Seite muß sich die Nato-Führung aber auch gefragt haben, wann sich wieder eine so gute Gelegenheit bietet, ihre Effektivität und die Notwendigkeit ihres Bestehens öffentlich zur Schau zu stellen.

So übernahm das westliche Bündnis die Aufgaben der internationalen Politik. Und weil Militär nicht politisch, also auf die Zukunft gerichtet, denkt, ignoriert man auch die Schäden, die die Raketenangriffe für einen zukünftigen Frieden bedeuten. Oder meint irgendwer ernsthaft, die Zerstörung des Kraftwerks von Novi Sad oder der Elektrofabrik Soboda in Cacak schwäche die Belgrader Kriegsmaschine?

Wie ziellos das Bomben ist, zeigt sich auch, wenn Nato-Generalsekretär Javier Solana stets betont, die Nato sei gar nicht im Krieg mit Jugoslawien. Gleichzeitig fordert er weiterhin die Umsetzung des militärischen Anhangs zum Abkommen von Rambouillet. Dort wird ein Zugang der Nato zu allen Militärbasen in Jugoslawien gefordert - das heißt nichts anderes als die bedingungslose Kapitulation Jugoslawiens.

Für Milosevic, den Spieler auf der anderen Seite, ist das der ideale Vorwand, weiter jede Stationierung fremder Truppen abzulehnen. Die Folge: Das Bomben wird intensiviert, der Mann, der Jugoslawien zerstört hat, bleibt an der Macht.