Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Die Wiederherstellung des Anscheins

Milosevic' Jugoslawien hebt das Kriegsrecht auf | Von Rüdiger Rossig

Ab heute sind die allgemeinen Bürgerrechte wie Meinungs-, Versammlungs- und Bewegungsfreiheit wieder gültige Rechtsnormen in der Bundesrepublik Jugoslawien. Mit der Aufhebung des Kriegsrechts nach drei Monaten und einem Tag schaffte die Belgrader Regierung gestern auch die Medienzensur und alle Reisebeschränkungen für die Männer im wehrpflichtigen Alter wieder ab. Auf dem Papier ist die Föderation aus Serbien und Montenegro damit wieder ein Rechtsstaat.

Doch Papier ist geduldig, zumal auf dem Balkan. Was heißt schon Meinungsfreiheit in einem System, das kritische Medien - wie etwa 1994 die Tageszeitung Borba - nach Gutdünken vom einen auf den anderen Tag gleichschalten kann? Was heißt Versammlungsfreiheit in einem Staat, der bereits 1991 sein Militär gegen unbewaffnete Demonstranten eingesetzt hat? Und was heißt Reisefreiheit für Menschen, die seit Jahren knapp am Existenzminimum leben müssen und die die Ausstellungsgebühr für ein ausländisches Visum niemals zahlen können?

Mehr als die Wiederherstellung des Anscheins von Rechtsstaatlichkeit bedeutet die Abschaffung des Kriegsrechts im Staate Miloevic' nicht. Für die Bürger Jugoslawiens ist dieser Beschluß nicht mehr als ein Schritt zurück in die alltägliche Diktatur, die nun seit mehr als zehn Jahren im Lande herrscht. Immerhin: Die Entscheidung mag den Resten der serbischen Opposition die Arbeit erleichtern. Denn die versprengten oppositionellen Kleinstgruppen, die von der patriotischen Welle nach Kriegsbeginn fast völlig überrollt wurden, sind für potentielle Geldgeber für den Wiederaufbau der Hauptindikator für Veränderungen im serbischen System.

Westliche Politiker haben immer wieder betont, daß Rechtsstaatlichkeit die Bedingung für eine finanzielle Hilfe an Jugoslawien ist. Damit ist die Herstellung des Anscheins von Legalität für das Regime in Belgrad, vor allem angesichts der Zerstörung durch den Nato-Luftkrieg, eine ökonomische Überlebensfrage.

Das heißt aber nicht, daß Miloevic seinen Machtanspruch aufgeben wird. Im Gegenteil: Den Resten der Opposition, deren organisierten Teilen in mehr als zwei Monaten Krieg ganz legal das Genick gebrochen wurde, wird nun ein politischer Spielplatz zur Verfügung gestellt werden. Das Regime behält während dessen - mit der Kontrolle über die großen Medien, die Gerichte, das Militär und die Polizei - alle weiteren Trümpfe in der Hand.